DAS INSTITUT
Internationale Volksgruppenforschung mit starkem Südtirolbezug
Das statutarische Ziel des Südtiroler Volksgruppen-Instituts ist es, sich einer möglichst umfassenden wissenschaftlichen Behandlung der Volksgruppenfrage und insbesondere auch der Volksgruppenrechte in Europa widmen, und dies mit ganzheitlicher, interdisziplinärer und zugleich auch praxisbezogener Ausrichtung.
Das Institut hat derzeit rund 70 Mitglieder. Der Großteil davon vertritt ein weites Spektrum wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Interessen und Meinungen in Südtirol. Dazu kommen auch Mitglieder von außerhalb Südtirols, welche die Zielsetzung des Instituts unterstützen. 1996 ist die Autonome Region Trentino-Südtirol (bis 2015), 1997 die Union Generela di Ladins dles Dolomites, der Dachverband der Dolomiten-Ladiner, und 2016 die Europäische Akademie Bozen (EURAC Research) dem Institut als Mitglied beigetreten. Damit wurde der Mitgliederkreis auch auf Körperschaften erweitert.
Das SVI betreibt eine erklärtermaßen anwendungsbezogene Wissenschaft. Mit anderen Worten: Die Wissenschaft ist Mittel zum Zweck, um kultur- und rechtspolitisch „etwas zu bewegen“, nämlich sachlich fundiert durch informative und argumentative Grundlagen im Kontakt mit Entscheidungsträgern einen Beitrag zum kulturell-sprachlichen Erhalt der beiden Volksgruppen (Deutschsprachige und Ladiner) in Südtirol und auch zur Lösung der Volksgruppenfrage in Europa zu leisten. Dies bedingt eine unmittelbare Koppelung von Theorie und Praxis.
Bei der Verwirklichung seiner Zielsetzung kommt dem SVI sein über 50-jähriges Bestehen zugute. Entsprechend konnte es schon während der ersten Südtirolautonomie und während des Ausbaus der zweiten Südtirolautonomie unmittelbare Erfahrungen sammeln und seit Mitte der 1980er Jahre ein dichtes Netzwerk wissenschaftlicher Beziehungen in Europa aufbauen. Dazu kommt ein reiches Potenzial wertvoller Kontakte, welche wichtige Volksgruppenvertreter auf der Betroffenenseite sowie viele Entscheidungsträger v.a. an der Spitze von Minderheitenorganisationen, aber auch in internationalen Gremien (wie z.B. Europarat, EU, OSZE, UNO) umfassen.
Der konkreten Zielsetzung des SVI liegt ein klares inhaltliches Konzept zugrunde, das auf den langjährigen und unmittelbaren Erfahrungen mit der Südtirol-Autonomie beruht. Es geht letztlich darum, den Südtiroler Erfahrungsvorsprung zugunsten anderer Volksgruppen in Europa nutzbar zu machen und in umgekehrter Richtung die Erfahrungen anderer europäischer Volksgruppen in Südtirol bekannt zu machen, um dadurch wiederum zur nationalen wie internationalen Standfestigkeit der Südtirol-Autonomie beizutragen.
Alle drei vorgenannten Faktoren ermöglichen es dem SVI, trotz oder gerade wegen seiner relativ kleinen Organisationsstruktur, mit einer hochgradigen Flexibilität und Effizienz zu arbeiten.
DER WERDEGANG DES INSTITUTS
Das Südtiroler Volksgruppen-Institut (SVI) ist eine gemeinnützige Nonprofit-Organisation. Es wurde 1960 nach Art. 36 ZGB als Südtiroler Wirtschafts- und Sozialinstitut gegründet, um die wirtschaftlichen und sozialen Probleme der beiden Südtiroler Volksgruppen (Deutsche und Ladiner) zu erforschen und durch praktische Initiativen im Sinne der christlichen Soziallehre einer Lösung zuzuführen. Diesen Gründungsauftrag hat das Institut drei Jahrzehnte lang erfüllt.
Im Verlauf dieser Zeit hat das Institut freilich auch einen inhaltlichen Wandel erfahren: Die Behandlung von wirtschaftlichen und sozialen Fragen war nicht möglich, ohne sich zugleich mit den kulturellen, bildungsmäßigen und ökologischen Gegebenheiten, aber auch mit den autonomierechtlichen Voraussetzungen in Südtirol zu befassen.
Als dann im Verlauf des Ausbaus der zweiten Südtirolautonomie mehrere Spezialeinrichtungen für wirtschaftliche und soziale Grundanliegen entstanden (u.a. Wirtschaftsförderungsinstitut, Wirtschaftsforschungsinstitut, Arbeitsförderungsinstitut, Öko-Institut etc.), konnte das Institut sich immer mehr einer umfassenden, gesamtgesellschaftlichen Betrachtungsweise Südtirols und seiner Sprachgruppen widmen. Aus dem Südtiroler Wirtschafts- und Sozialinstitut entwickelte sich somit allmählich das Südtiroler Volksgruppen-Institut, das nicht mehr nur Teilaspekte, sondern die Gesamtproblematik des Zusammenlebens von drei Sprachgruppen in Südtirol im Auge hat.
Als mit der Wende in Europa ab 1989 die Nationalitätenfrage mit größter Vehemenz wieder akut wurde, richtete sich plötzlich die Aufmerksamkeit Europas auf Südtirol: Aus einem negativen Konflikt, der in Gewaltanwendung auszuarten drohte, war im Wege von politischen Verhandlungen eine positive Konfliktregelung entstanden, die mit Hilfe des zweiten Autonomiestatuts das friedliche Zusammenleben der drei Sprachgruppen in Südtirol ermöglicht hat. Vor diesem Hintergrund wurde das Institut zunehmend mehr als Ansprechpartner von außerhalb Südtirols beansprucht, um das historisch erworbene Erfahrungsgut Südtirols in wissenschaftlich objektiver Weise den an ähnlichen Problemlösungen Interessierten zu vermitteln.
Die solcherart entstandene Beanspruchung des Instituts war und ist enorm. Gibt es doch in Europa über 350 nationale Minderheiten mit insgesamt 107 Mio. Angehörigen (was einem Siebtel der Europäer entspricht!), von denen viele sich das Erfahrungspotential und den Erfahrungsvorsprung Südtirols zunutze machen wollen. Das Institut hat diese Herausforderung angenommen aus Solidarität mit dem Schicksal vieler leidgeprüfter Volksgruppen, aber auch als Zeichen der Dankbarkeit dafür, dass Südtirol in schwierigen Zeiten viel uneigennützige Hilfe von außerhalb des Landes erfahren durfte.
Das Institut hat diesen Entwicklungen auch statutarisch Rechnung getragen, indem es 1995 seinen Zweck dahingehend erweitert hat, im Geiste der Solidarität einen konstruktiven Beitrag zur Lösung der Volksgruppenfrage in Europa leisten zu wollen durch Forschung, Erfahrungsaustausch und internationale Zusammenarbeit. Als letzter Schritt wurde das Institut 1996 in „Südtiroler Volksgruppen-Institut“ umbenannt, wobei auch die ursprüngliche, von der Entwicklung überholte Einengung der Zweckbestimmung auf nur wirtschaftliche und soziale Probleme zugunsten der Gesamtproblematik der Volksgruppenfrage in Südtirol fallengelassen wurde.
Im Zeitraum zwischen 1961 und 2013 wurde der Werdegang des Instituts maßgeblich durch seinen damaligen Leiter, den Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler Prof. Christoph Pan geprägt, dies sowohl im Hinblick auf die wirtschaftlichen und sozialen Belange der Südtiroler Volksgruppen als auch ab 1989 im Hinblick auf die Volksgruppenfrage in Südtirol und in Europa. Prof. Pan war als Hochschullehrer an den Universitäten Salzburg und Innsbruck tätig, kraft seiner wissenschaftlichen Expertise zählt er zugleich zu den renommiertesten Minderheitenexperten in Europa und wurde als solcher mehrfach international ausgezeichnet.
Im Oktober 2013 legte Institutsleiter Prof. Pan die wissenschaftliche Leitung des SVI in jüngere Hände. Sein Nachfolger wurde Prof. Paul Videsott (Professor für Romanische Philologie/Ladinistik an der Freien Universität Bozen). Mit der Ernennung eines Sprachwissenschaftlers und Ladiners als neuen Institutsleiter hat das SVI bewusst ein Hauptaugenmerk auf die Ladiner-Frage (inhaltlich) und angewandte Sprachwissenschaft im weitesten Sinne (methodisch) gelegt. Gleichzeitig werden damit die kleinen Volksgruppen, deren Anteil an der Gesamtzahl der Volksgruppen Europas über 80% beträgt und deren Existenz besonders gefährdet ist, in den Brennpunkt wissenschaftlicher Aufmerksamkeit gerückt.